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Während ich schreibe, höre ich draußen das Meer. Denn mein Haus steht am Ufer. Und das Meer will über das Ufer, es brandet und braust wie im Märchen. Mit neuen und neuen Wellen. Immer wieder, immer wieder. Es rauscht und braust und brandet immer wieder eine Welle. Sie kommen aus der Ferne, wo der Horizont eine Linie ist. Gestern war ein Sturm. Ich hab oft hingesehen, aber kein Ende entdeckt.
Mitte September 1929 verdiente Herr Alfons Kobler aus der Schellingstraße sechshundert Reichsmark. Es gibt viele Leut, die sich soviel Geld gar nicht vorstellen können. Auch Herr Kobler hatte noch niemals soviel Geld so ganz auf einmal verdient, aber diesmal war ihm das Glück hold. Es zwinkerte ihm zu, und Herr Kobler hatte plötzlich einen elastischeren Gang. An der Ecke der Schellingstraße kaufte er sich bei der guten alten Frau Stanzinger eine Schachtel Achtpfennigzigaretten, direkt aus Mazedonien. Er liebte nämlich dieselben sehr, weil sie so überaus mild und aromatisch waren. »Jessas Mariandjosef!« schrie die brave Frau Stanzinger, die, seitdem ihr Fräulein Schwester gestorben war, einsam zwischen ihren Tabakwaren und Rauchutensilien saß und aussah, als würde sie jeden Tag um ein Stückchen kleiner werden ¿ »Seit wann rauchens denn welche zu acht, Herr Kobler? Wo habens denn das viele Geld her? Habens denn wen umgebracht, oder haben Sie sich gar mit der Frau Hofopernsänger wieder versöhnt?« »Nein«, sagte der Herr Kobler. »Ich hab bloß endlich den Karren verkauft.« Dieser Karren war ein ausgeleierter Sechszylinder, ein Kabriolett mit Notsitz. Es hatte bereits vierundachtzigtausend Kilometer hinter sich, drei Dutzend Pannen und zwei lebensgefährliche Verletzungen. Ein Greis. Trotzdem fand Kobler einen Käufer. Das war ein Käsehändler aus Rosenheim, namens Portschinger, ein begeisterungsfähiger großer dicker Mensch. Der hatte bereits Mitte August dreihundert Reichsmark angezahlt und hatte ihm sein Ehrenwort gegeben, jenen Greis spätestens Mitte September abzuholen und dann auch die restlichen sechshundert Reichsmark sofort in bar mitzubringen. So sehr war er über diesen außerordentlich billigen Gelegenheitskauf Feuer und Flamme.
Auf meinem Tische stehen Blumen. Lieblich. Ein Geschenk meiner braven Hausfrau, denn heute ist mein Geburtstag. Aber ich brauche den Tisch und rücke die Blumen beiseite und auch den Brief meiner alten Eltern. Meine Mutter schrieb: »Zu Deinem vierunddreißigsten Geburtstage wünsche ich Dir, mein liebes Kind, das Allerbeste. Gott, der Allmächtige, gebe Dir Gesundheit, Glück und Zufriedenheit!« Und mein Vater schrieb: »Zu Deinem vierunddreißigsten Geburtstage, mein lieber Sohn, wünsche ich Dir alles Gute. Gott, der Allmächtige, gebe Dir Glück, Zufriedenheit und Gesundheit!« Glück kann man immer brauchen, denke ich mir, und gesund bist du auch, gottlob! Ich klopfe auf Holz. Aber zufrieden? Nein, zufrieden bin ich eigentlich nicht. Doch das ist ja schließlich niemand. Ich setze mich an den Tisch, entkorke eine rote Tinte, mach mir dabei die Finger tintig und ärgere mich darüber. Man sollt endlich mal eine Tinte erfinden, mit der man sich unmöglich tintig machen kann! Nein, zufrieden bin ich wahrlich nicht. Denk nicht so dumm, herrsch ich mich an. Du hast doch eine sichere Stellung mit Pensionsberechtigung, und das ist in der heutigen Zeit, wo niemand weiß, ob sich morgen die Erde noch drehen wird, allerhand! Wie viele würden sich sämtliche Finger ablecken, wenn sie an deiner Stelle wären?! Wie gering ist doch der Prozentsatz der Lehramtskandidaten, die wirklich Lehrer werden können! Danke Gott, daß du zum Lehrkörper eines Städtischen Gymnasiums gehörst und daß du also ohne große wirtschaftliche Sorgen alt und blöd werden darfst! Du kannst doch auch hundert Jahre alt werden, vielleicht wirst du sogar mal der älteste Einwohner des Vaterlandes! Dann kommst du an deinem Geburtstag in die Illustrierte, und darunter wird stehen: »Er ist noch bei regem Geiste.« Und das alles mit Pension! Bedenk und versündig dich nicht!
Ödön von Horváth (1901-1938) war ein auf Deutsch schreibender österreichisch-ungarischer Schriftsteller ungarischer Staatsbürgerschaft. Aus dem Buch: „Die ganze Geschichte spielt in München. Als Agnes ihren Eugen kennen lernte, da war es noch Sommer. Sie waren beide arbeitslos und Eugen knüpfte daran an, als er sie ansprach. Das war in der Thalkirchner Straße vor dem städtischen Arbeitsamt und er sagte, er sei bereits zwei Monate ohne Arbeit und eigentlich kein Bayer, sondern ein geborener Österreicher. Sie sagte, sie sei bereits fünf Monate arbeitslos und eigentlich keine Münchnerin, sondern eine geborene Oberpfälzerin. Er sagte, er kenne die Oberpfalz nicht und sie sagte, sie kenne Österreich nicht, worauf er meinte, Wien sei eine sehr schöne Stadt und sie sehe eigentlich wie eine Wienerin aus. Sie lachte und er sagte, ob sie nicht etwas mit ihm spazieren gehen wollte, er habe so lange nicht mehr diskuriert, denn er kenne hier nur seine Wirtin und das sei ein pedantisches Mistvieh. Sie sagte, sie wohne bei ihrer Tante und schwieg. Er lächelte und sagte, er freue sich sehr, daß er sie nun kennen gelernt habe, sonst hätte er noch das Reden verlernt. Sie sagte, man könne doch nicht das Reden verlernen. Hierauf gingen sie spazieren. Über Sendlingertorplatz und Stachus, durch die Dachauerstraße, dann die Augustenstraße entlang hinaus auf das Oberwiesenfeld. Als Eugen die ehemaligen Kasernen sah, meinte er, oft nütze im Leben der beste Wille nichts. Überhaupt gäbe es viele Mächte, die stärker wären als der Mensch, aber so dürfe man nicht denken, denn dann müßte man sich aufhängen..."
Der Ich-Erzähler, ein anonym bleibender Soldat, ist die Hauptperson des Romans; geboren wurde er 1917. Seine erste Erinnerung ist der Tod der Mutter. Er ist arbeitslos und zieht wegen ideologischer Differenzen bei seinem Vater aus. Nun muss er betteln und ist auf die Wohlfahrt angewiesen. Sein Hass auf die schöne Jugendzeit seines Vaters und auf das gemütliche Leben anderer steigt, und immer mehr identifiziert er sich mit Ansichten des Nationalsozialismus, namentlich der, der einzelne Mensch tauge nichts, und nur der Volkskörper zähle. Der Krieg, den er verherrlicht, gibt ihm, einem desillusionierten, egoistischen, unverschämten, radikalen und nicht mehr gläubigen Menschen, Hoffnung. Er will zum Militär, denn in der Uniform, so glaubt er, sei er stark und in der Truppe nicht mehr allein. Als er rekrutiert wird, erfüllt sich für ihn ein Traum. Über die Richtigkeit seiner Taten denkt er nicht nach, er meint "Denken bringt auf blöde Gedanken". Ödön von Horváth (1901-1938) war ein auf Deutsch schreibender Schriftsteller ungarischer Staatsbürgerschaft: Meine Muttersprache ist die deutsche.
Der ewige Spießer ist der erste Roman von Ödön von Horváth. Der sozial- und gesellschaftskritische Roman wurde 1930 abgeschlossen und erschien zunächst im Propyläen-Verlag, in dessen Theaterabteilung Arcadia zuvor auch schon Horváths Stücke veröffentlicht wurden. Episodenhaft und assoziativ erzählend, ohne eine durchgehende eigentliche Handlung zu haben, versucht der Roman anhand von Ausschnitten verschiedener Lebensläufe, die während der Weltwirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg in München spielen, den modernen Typus des deutschen Spießers zu charakterisieren. Ödön von Horváth (1901-1938) war ein auf Deutsch schreibender österreichisch-ungarischer Schriftsteller. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Stücke Geschichten aus dem Wiener Wald, Glaube Liebe Hoffnung und Kasimir und Karoline sowie durch seine zeitkritischen Romane Der ewige Spießer, Jugend ohne Gott und Ein Kind unserer Zeit. Sozialpolitische Stoffe bilden den Kern von Horváths dramatischem Gesamtwerk. Als Ziel seiner Arbeit nennt er selbst die "Demaskierung des Bewußtseins". Anhand von Einzelschicksalen verarmter, perspektivloser Kleinbürger sowie von Frauengestalten in drastischer patriarchalischer Abhängigkeit zeichnet er Bilder einer entfremdeten und sozial deprivierten Gesellschaft.
Jugend ohne Gott ist der dritte Roman des österreich-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth, erschien im Jahr 1937. Der Titel des Werkes "Jugend ohne Gott" drückt die Charakter-, Gedanken- und Lieblosigkeit der Jugend im Dritten Reich aus. Das Buch kritisiert die Zustände nach der Machtübernahme Hitlers. Da ist auf der einen Seite der Lehrer, ein Opportunist, der aus Angst davor, seinen Lebensunterhalt zu verlieren, nicht für seine moralischen Werte eintritt; auf der anderen Seite stehen die Kinder, die, ebenso wie ihre Eltern, die NS-Propaganda verinnerlichen, das eigenständige Denken aufgeben und sich von der Diktatur beherrschen lassen. Zur Inhalt: Ein Lehrer korrigiert gerade die Klassenarbeiten seiner Schüler. Dabei stellt er fest, dass der Schüler N sich sehr despektierlich gegenüber Schwarzen äußert. Er bemängelt dies, streicht es jedoch nicht an, weil er Schülern gegenüber nichts bemängeln könne, was offiziell in den Medien seines Landes verlautet wird. Er denkt in dieser Zeit über Gott. Er gesteht, dass er seinen Glauben im Ersten Weltkrieg verloren hat und nur noch vor anderen so tut, als ob er noch glauben würde. Am kommenden Schultag äußert er bei der Rückgabe der Klassenarbeiten an seine Schüler gegenüber N seine Meinung, dass Farbige auch Menschen seien. Der Lehrer, der Angst vor einer Disziplinarstrafe hat und keinen Gefallen an seinem Beruf mehr findet, geht am Abend in eine Bar und trifft dort in alkoholisiertem Zustand auf einen alten Lehrerkollegen, genannt Julius Cäsar. Er erklärt, dass die Seele des Menschen bald so unbeweglich sein werde wie das Antlitz eines Fisches.
Geschichten aus dem Wiener Wald ist das bekannteste Theaterstück des österreichisch-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth. Es wurde 1931 in Berlin uraufgeführt und mehrfach verfilmt. Noch vor der Uraufführung erhielt Horváth 1931 für das Stück den Kleist-Preis. Horváths Stück, geschrieben Ende der 1920er Jahre in der Zeit katastrophaler Arbeitslosigkeit und der Weltwirtschaftskrise, ist ein Schlüsselwerk des modernen Dramas und wurde von Erich Kästner "ein Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück" genannt. Zur Inhalt: Marianne, das "süße Wiener Mädel", läuft ihrer Verlobung mit dem biederen Fleischhauer Oskar davon, der sein Geschäft neben der Puppenklinik ihres Vaters in Wien hat. Sie bekommt ein Kind von Alfred, der ein Schuft und Hallodri ist, und sie werden todunglücklich im Wiener achtzehnten Bezirk. Alfred gibt das Kind zu seiner Großmutter, die mit Alfreds Mutter in der schönen frischen Luft der Wachau an der Donau wohnt. In Not und Elend vollzieht Marianne einen sozialen Abstieg, der sie zuletzt über Vermittlung von Alfreds Kumpan Hierlinger und einer Baronin "mit Verbindungen" als erotische Tänzerin in ein Halbwelt-Varieté führt. Der Zauberkönig, der hartherzige Vater Mariannes, muss sein verstoßenes Kind im Nachtlokal "Maxim" als nackte allegorische Figur bei "lebenden Bildern" wiedererkennen. "Der Mister", ein aus Amerika heimgekehrter Wiener mit heurigenseliger, verkitschter Heimatliebe, der mit Geld nur so um sich wirft, versucht Marianne als Prostituierte zu kaufen, was sie ablehnt. Die Abweisung macht den "Mister" wütend, er sorgt dafür, dass sie ins Gefängnis kommt, da sie ihn angeblich bestehlen wollte.
Ödön von Horváth (1901-1938) war ein auf Deutsch schreibender österreichisch-ungarischer Schriftsteller ungarischer Staatsbürgerschaft. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Stücke Geschichten aus dem Wiener Wald, Glaube Liebe Hoffnung und Kasimir und Karoline sowie durch seine zeitkritischen Romane Der ewige Spießer, Jugend ohne Gott und Ein Kind unserer Zeit. Inhalt: • Der sichere Stand • Legende vom Fußballplatz • Regatta • Der Faustkampf, das Harfenkonzert und die Meinung des lieben Gottes • Start und Ziel • Vom artigen Ringkämpfer • Vom unartigen Ringkämpfer • Der große und der kleine Berg • Was ist das? • Stafetten • Wintersportlegendchen • Vom wunderlichen Herrn von Bindunghausen • Über das Meer • Aus einem Rennradfahrerfamilienleben • Begegnung in der Wand • Die Mauerhakenzwerge • Die Eispickelhexe • Die Beratung • Aus Leichtathletikland • Persönlichkeiten • Das Sprungbrett • Nur auf die Bindung kommt es an! • Der Fallschirm • Sommer und Winter • Die drei Gesellen • Die Regel • Die beiden Magenschwinger
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