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Diese Sammlung von Briefen, die Victor Hehn an seinen Freund Herman Wichmann geschrieben hat, bietet einen Einblick in das Leben und Denken des deutschen Philologen und Historikers. Hehn bezieht sich auf seine Forschung und seine Kontakte zu anderen Wissenschaftlern seiner Zeit. Diese Briefe sind nicht nur eine wertvolle historische Quelle, sondern auch ein faszinierender Einblick in das Leben eines Gelehrten des späten 19. Jahrhunderts.This work has been selected by scholars as being culturally important, and is part of the knowledge base of civilization as we know it.This work is in the "public domain in the United States of America, and possibly other nations. Within the United States, you may freely copy and distribute this work, as no entity (individual or corporate) has a copyright on the body of the work.Scholars believe, and we concur, that this work is important enough to be preserved, reproduced, and made generally available to the public. We appreciate your support of the preservation process, and thank you for being an important part of keeping this knowledge alive and relevant.
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Noch ist die Arbeit, Goethe in das Bewußtsein der Nation einzuführen, lange nicht vollendet. Wer die herrschende Bildung beobachtet hat, muß gestehen, daß die große Mehrzahl gar nicht ahnt, wieviel sie an Goethe besitzt. Seine Dichtungen sind berühmt und von allen gekannt, genossen und empfunden sind sie nur von wenigen. Sinn für Poesie ist überhaupt nicht weiter verbreitet als Talent z. B. für Mathematik. Die meisten haften an dem falschen Golde rhetorischen Schmuckes, werden kindisch gelockt von den Flittern der Diktion und, wenn es sich um Gestalten handelt, nur durch abstrakte Idealität berührt und fortgerissen. Selbst unter denen, die als Goethes Ausleger aufgetreten sind, haben sich nicht alle durch das Entzücken des poetischen Genusses und das Streben, auch andre daran teilnehmen zu lassen, zu ihrem Amte berufen geglaubt, sondern wurden vielmehr durch schulphilosophische Bedürfnisse, religiöse, politische, soziale Standpunkte, also mehr durch ein scholastisches und praktisches Interesse dazu geführt. Sie suchten an jenen Dichtungen die Gelegenheit, sie drängten sich den Inhalt schon mitbringend an sie heran, statt in unbefangener Hingabe die schöne Menschlichkeit und reine Darstellung auf sich wirken zu lassen und der Empfindung andrer näher zu bringen. So ist in den zahlreichen Schriften über Faust zwar jedes Wort, das in des Helden Monologen, in den Gesprächen mit Mephistopheles und Wagner ausgesprochen wird, zu einem heiligen Text geworden, zu dem die Noten und Exkurse sich häuften und welcher zu aller Art von Schriften und Verhandlungen Sprüche liefert, aber die wundervollen Szenen zwischen Faust und Gretchen, die Blüte des Werkes, wo die volle dichterische Schöpfungsmacht das ergreifendste individuelle Bild von Lieb und Leid des Menschenlebens vor uns hinwirft, bilden weiße Seiten, bei denen die geschäftige Interpretation schweigt. Wenn es Rötscher über sich vermag, bei Gretchens Gestalt und über sie hinweg an Unschuld, Fall und Erlösung des Menschengeschlechts, die durch sie dargestellt werden, zu denken, so müssen wir an seinem poetischen Sinne ebenso sehr zweifeln, als wenn Viehoff in seinem neusten Kommentar zu Goethes Gedichten die Schönheit derselben in Zäsur und Alliteration, iambischem und trochäischem Rhythmus, in das Vorherrschen dieses und jenes Vokals u. s. w. setzt. So findet Karl Grün die volle Bedeutung des Goetheschen Geistes in Wilhelm Meisters Wanderjahren, im zweiten Teil des Faust u. s. w., während z. B. Hermann und Dorothea von ihm kaum berührt wird. Auch ihm also liegt die soziale Wahrheit näher am Herzen als die poetische Kunst: er kann gleichgültig vorübergehen, wo die letztere unwiderstehlich fesselt; er kann liebevoll verweilen, wo sie erloschen ist. Sind so die Ausleger nicht immer das Organ reiner Freude an der Gegenwart der Poesie geworden, so findet man unter der großen Menge der Leser und Urteiler überwundene Meinungen und längst verlassene Standpunkte noch so sehr in vollem Bestand, daß es fortwährend not thut, die in engerem Kreise gewonnene ästhetische Einsicht von neuem vorzutragen. Der moralisch-didaktische Gesichtspunkt einem Dichterwerk gegenüber, die religiösen Abstraktionen, der Dualismus zwischen Sinnlichem und Uebersinnlichem, Leib und Seele, Irdischem und Himmlischem, der alle Kunst bis zur Wurzel zerstört, die Flucht aus der vollen Wirklichkeit der Natur und des Lebens, das Unvermögen, in der ersteren den innerlich bildenden Geist, in den Gestalten des letzteren die sie hervortreibende und beseelende Sittlichkeit zu empfinden ¿ dies alles ist in der großen Masse der Gebildeten noch so wenig erschüttert, daß es noch vieler und wiederholter Anwendung der Wahrheit auf einzelne Punkte bedarf, ehe sie sich des Sieges wird rühmen dürfen.
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