Om Das Mädchen von Orlach. Erlebnisse einer Besessenen
Geringschätzig werden okkulte Begebenheiten meist als Aberglaube abgetan oder bestenfalls noch als Kuriositäten behandelt. Der aufgeklärte Europäer sieht keine Dämonen und weiß von Gespenstern und Spukerscheinungen nur aus der Überlieferung. Aber diese Phänomene sind längst Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden; hauptsächlich die Psychoanalyse und die Parapsychologie haben unsere Kenntnis davon beträchtlich erweitert.
Die vorliegende Arbeit ist nun ein umfassender Versuch, die anthropologischen Aspekte einer ¿Geistergeschichte¿ darzustellen. Heino Gehrts stützt sich dabei auf den berühmten Fall der Magdalena Gronbach, des Mädchens von Orlach, deren Erlebnisse bereits von Justinus Kerner, der diese Besessene zu heilen versucht hatte, in seinen ¿Geschichten Besessener neuerer Zeit¿ beschrieben wurden. Doch geht Heino Gehrts weit über den Bericht Kerners hinaus. Er konnte für seine Arbeit die Tagebücher, die seinerzeit geführt worden waren und hier vollständig gedruckt erscheinen, die noch zugänglichen Briefe, die Akten und nicht zuletzt auch die mündliche Überlieferung heranziehen. Aufgrund dieser reichen Dokumentation und einer ausführlichen geistesgeschichtlichen, phänomenologischen und ethnologischen Deutung gelingt es Heino Gehrts, die Vielschichtigkeit des Geschehens auch für den Skeptiker sichtbar werden zu lassen. Das Ergebnis der Untersuchung dieser ¿Geistergeschichte¿ zeigt, daß wir es mit einem kultischen Drama zu tun haben, an dessen Ende die Katharsis - das Sichbefreien von psychischen Konflikten und inneren Spannungen durch emotionales Abreagieren - steht.
Das Buch ist gewiß eine Herausforderung, da es der Aufklärung vorwirft, die sogenannte Nachtseite des Lebens nicht erhellt, sondern nur verdrängt zu haben. Es zwingt dem Leser die Frage auf, ob wir das Dämonische wirklich überwunden haben oder ob es nicht nur unsichtbar und unfaßbar für uns geworden ist.
Vis mer